Am Saum oder hätte mir wieder statt wider gewünscht 

von Frieda Paris // mit Illustrationen von Katrina L. Pennington


Katrina L. Pennington [Red Room, 2022, Öl auf Leinwand, 125 x 135 cm]

einmal schrieb ich:  

Das Auge einer Taube sieht aus wie ein Sanddorn. Ich hatte binnen einiger Tage drei Tauben gesehen, dabei hatte ich mein Leben lang Tauben gesehen, aber nie dieses Auge, einer Taube, sieht aus, wie ein Sanddorn, immer wieder komme ich zu ihr zurück, Taube mit sanddornfarbiger Iris, meine späte Erkenntnis, ihr Getapse auf Asphalt, ruckartiges umgucken, glänzendes Köpfchen ohne Hals, ich meine damit auch: immer wieder komme ich zu diesem Satz zurück, den ich schrieb, in dem ich befand, das Auge einer Taube sieht aus wie ein Sanddorn, Ich muss den Satz in der Nähe des Stadtparks gesehen haben, einem öffentlichen Garten, Gärtchen, stellenweise stellt sich, etwa auf Höhe des künstlichen Sees mit Blick auf das Marriot, das New York-Gefühl (!) ein, ohne je dort gewesen zu sein, hatte binnen einiger Tage drei Tauben gesehen, seit dem zwölften Tag des Jahres (=Tag der blauen Vasen), auch das Gefühl, dass ich von unserem Kuss nicht loslassen kann, nicht nachlassen von unserem All, von allem Unsagbaren, die Glocken schlugen, ungünstig gegen uns an den Abschied, die Abschiede, Tränenhäufchen, Elend (bin ellend), kein Satz der unserer Nähe nah käme, jetzt wellend, ich schreibe diesen Text von einer Küste, an meinem temporären Schneidetisch (=Schreibtisch) kann ich hier Möwen hören, dabei hatte ich mein Leben lang Tauben gesehen, Schleifgeräte in der Ferne, (Schweifgeräte), Hafensignale, Sirenen, Geschirr oder ein Streit außerhalb der eigenen Sprache, dies alles, ein anderer Text, eine andere Einreichung, pick, hat sich doch glatt eine Taube auf meine Nussschale gesetzt und ein wenig gepickt, Auge in Auge mit der Taube, wenn ich die Augen schließe, bin ich bei dir, aber nie dieses Auge, ganz nah an unserem Kuss, damals im Stadtpark, bei den blauen Vasen, unser gemeinsames All (=Fischbeinwelt), wann lässt du nach, deine Stirn, weich und im Geruch eines Fells, wie es immer ist, wenn ich einem Tier nah komme, fange ich an zu reden, meine Rede wird dann komisch, ohne nachzudenken sage ich ach Hallo du, Mensch (ich meine Tier) was machst du denn hier? huhu Taube, du Tierchen; nie kommt Notiertes an Gesprochenes heran, in meinem Schreiben jedenfalls nicht, kein Satz der unserer Nähe nah käme, Musik, wären wir Musik, dann die drei Jahreszeiten, diese Wiederholungen, ein einziger lebenslanger Saum, an dem alles hängen bleibt, was bleiben möchte und an dem ich alles haften lasse, was nicht bleiben kann oder möchte, mit diesem Saum (=Geklimper) gehe ich spazieren,

Katrina L. Pennington [Chadwick Sundown, 2020-2021, Öl auf Leinwand, 85 x 110 cm]

lese eine Art liegen gebliebenes Flachsgut (?) auf und spaziere damit hündchengleich den Strand entlang, wie in irgendeinem Text aus dem Universum Friederike Mayröckers, geht sie, oder ihr lyrisches Ich im Text, mit einem Gegenstand, ich weiß gerade nicht wo (Magische Blätter?); die Wellen hier sind CALIFORNISCH schreibe ich, an die Königin denkend, dankend, gestern Das Jahr magischen Denkens beendet, ach ja ich lese manchmal nicht im Original, aber die Übersetzungsleistung von Antje Rávik Strubel, was soll ich sagen, also Joan Didions Jahr beendet und wie sie geht, meine, wie ihr Ich im Text geht, nach dem Tod ihres Mannes, erstmals mit ihren Augen, nicht mit den Augen ihres Geliebten, und wie ich gehe, ab und zu schon mit meinen Augen wieder, blau-grau, wenn die Sonne scheint: manchmal gelb um die Iris, was du weißt, gehe mit einem imaginierten Hündchen am Strand entlang, dies Sanddorn, daraus ein Kleid, nein vielleicht nicht unbedingt, vielleicht zu verblasst, wie unser Kuss, unser All, unsere Fischbeinwelt, diese Wiederholungen, vorbei an den blauen Vasen, weil es weitergehen muss, im Leben, wie im Satz, weil noch immer einer gehen musste, auch ich jetzt, am Saum, aber nie dieses Auge, einer Taube, sieht aus, wie ein Sanddorn; dies Auge, Täubchen, vergesse dich nicht 

 29.09.2022 

Reste 

etwas, das verblasst und gleichzeitig weiter wird