Einsamkeitsanzeigen

A, versucht: Seit ich dich verloren habe, weil du sagst, dass ich dich einschränke, höre ich dreimal am Tag, dass es endlich an der Zeit sei, nach vorne zu sehen. Aber ich will nur dich und jetzt habe ich nur noch Einsamkeit und die sieht man mir mittlerweile an. Ich will niemand anderen, ich will die Zeit zurück. Die Zeit, in der es keinen besseren Platz für meinen Kopf gab als deine Brust, als ich so getan habe, als schmecke mir dein Essen, als wir Hand in Hand durch die Nacht gelaufen sind und ich die letzten Meter nach Hause nicht gerannt bin. Als ich duschen gegangen bin, während du dich am Waschbecken rasiert hast und als wir nie einen Film zu Ende gesehen haben. Ich will die Zeit zurück, in der mir niemand sagt, ich solle meine Haare wieder waschen, ich solle mal wieder feiern gehen, ich solle mich mal auflockern, so als wäre ich festgetretene, verhärtete, verbannte Erde.
B, verliert: Wo bist du, wenn ich weine und schreie und nicht mehr weiter weiß? Wo bist du, wenn ich seit zwei Tagen nichts gegessen habe und wenn ich in meinem Bett rauche? Warum rufst du mich nicht mehr an? Es gab sie immer, diese Zeiten, in denen ich tagelang nicht aufgestanden bin, aber irgendwann bist du immer gekommen und hast mich in meiner Kleidung unter die Dusche gestellt. Hörst du nicht, dass dein Name das einzige Wort ist, das mir noch gefällt?
C, vergisst: Manchmal, wenn ich um den Block laufe, weil mein Kühlschrank nach einer Woche wieder leer war, dann wünsche ich mir, jemand könnte sehen, wie sehr ich mich danach sehne, die Einsamkeit endlich in eine Ecke meines Zimmers zu verbannen und sie dann dort anzusehen wie ein Monster, vor dem ich mich als Kind gefürchtet habe. Manchmal, wenn ich um den Block laufe, dann erschrecke ich mich vor meinem eigenen Schatten, weil ich so leise bin, dass ich mich fast vergesse.
D, verletzt: Vielleicht lasse ich das jetzt sein, das mit den Versprechungen und den Hoffnungen und der Liebe. Nach diesem Mal hast du die Wohnung endgültig verlassen und alle Weingläser mitgenommen. Ich halte das nicht noch mal aus, das mit dem Heulen und der Verzweiflung und dem Verlust. Seit die Küchenschränke leer sind, trinke ich den Wein aus der Flasche, den teuren, den dein Vater uns zur Wohnungseinweihung geschenkt hat und den wir uns für einen besonderen Anlass aufgespart haben.
E, vertieft: Glaub mir, ich habe mich verändert. Deine Worte sind zu einer To-do Liste in meinem Kopf geworden, die mir Ruhe gegeben hat. Mein letzter Tobsuchtsanfall ist zwei Wochen her und dabei war ich alleine mit meinem Spiegelbild. Du willst mehr Raum für dich und ich habe jetzt häufiger meine Fenster geöffnet. Bevor du gegangen bist, hast du gesagt, ich sei doch eigentlich nie dein Typ gewesen, aber letzte Woche habe ich mir die Haare blond gefärbt und meine Freundinnen sagen, dass sie das nicht verstehen. Glaub mir, ich habe mich verändert. Und vielleicht gefalle ich dir noch mal.
F, verschweigt: Du erwartest zu viel von mir und jetzt bin ich alleine, aber ich bin nicht gut darin, nur mit mir und meinem Kopf Zeit zu verbringen. Du erwartest, dass ich dir alles sage, dass ich alles zeige; die Dinge, die ich nicht aussprechen und ansehen und fühlen will. Dazu hast du kein Recht, aber ich vermisse dich trotzdem. Dann, wenn es langsam dunkel wird, dann, wenn ich einen einzelnen Stern entdecke, dann, wenn ich kein frisches Handtuch finde.

G, vermisst: Ich würde mir gerne noch mal von dir auf die Füße treten lassen. Meine dreckigen Schuhe wären wenigstens eine Bestätigung dafür, dass du mir jemals nah warst.
H, vergrößert: Ich will eine Abrissbirne in mir schwingen und einen Presslufthammer rattern hören und sie fallen sehen: die Mauern, die die Traurigkeit schwarz gestrichen hat und zwischen denen es keine Türen gibt. Die Lagerhalle für Geheimnisse, die blinden Flecken und die Tieftauchbecken für die Atemlosigkeit. Die Andachtsorte des Vergessens, die abmontierten Lichtschalter, der Irrgarten ohne Mitte und die Drehscheiben, die sich nicht anhalten lassen. Bevor der Schutt in die Höhe fliegt, mache ich eine letzte Besichtigung und dann, irgendwann, wird es einen Raum geben für die Wut, die Angst und die Trauer. Ein Mahnmal für die Verletzungen, einen Garten der Freude und einen Ort der Ruhe, eine Gefühlsbibliothek und einen Wörterwald. Ich hänge Traumfänger auf und einen Schlüssel um meinen Hals und ich will, dass die Liebe dort zu Hause ist.
I, verfüht: Ich habe mich sofort in dein Einfühlungsvermögen verliebt. In deine Art, nach meiner Hand zu greifen, in das Gefühl von meinem Kopf auf deiner Schulter, in dein offenes Ohr. Ich dachte, dass das reicht, aber vielleicht hätte ich mich mehr in dich und nicht nur in deine offenen Arme verlieben müssen.
J, verdreht: Wir telefonieren nur noch tagsüber miteinander. Weil wir ständig Angst haben, etwas Falsches zu sagen, reden wir nur noch über Oberflächliches und stellen keine Nachfragen mehr. Wir wählen entweder aus einem alten Reflex die Nummer des anderen, oder um uns zu vergewissern, ob wir uns noch an den richtigen Stimmfall erinnern. Bald lassen wir uns ganz alleine.
K, verdacht: Du sagst, du lebst lieber im Moment als in deinem Kopf. Du sagst, du magst es nicht, alles zu zerdenken und ich frage mich, wie eine Gedanken-Diät geht, weil ich in meinem Kopf alles zerkaue, bis nur noch eine einzige dunkle Masse vorhanden ist. Du sagst, du möchtest einfach mal machen, statt die Konsequenzen zu bedenken, und ich frage mich, wie ich einen Bungee-Jump aus meinen Überlegungen heraus machen könnte. Wenn ich es geschafft habe, sehen wir uns dann noch mal?
L, versetzt: Ich warte noch. Meine Haare sind gekämmt, das Gesicht ungeschminkt, der Rock und die lockere Bluse frisch gewaschen. Der Topf mit dem eingebrannten Essen ist im Mülleimer verschwunden, das Toilettenpapier aufgefüllt, der Teppich gesaugt. Das Wandtuch glatt gestrichen, die Kerzen angezündet, die Zimmerpflanzen gegossen. So ordentlich ist es bei mir selten, aber ich warte noch auf dich und ich habe die Hoffnung, dass du doch noch kommst, mit doppelter Verspätung, nicht aufgegeben.
M, verstaucht: Vielleicht stimmt es und vielleicht werde ich deinen Erwartungen nicht gerecht, aber deine Erwartungen waren auch nicht gerecht.
N, verschoben: Ich sage jetzt von mir, dass ich Nichtraucher bin, aber eigentlich heißt das nur, dass ich mir keine eigenen Schachteln mehr kaufe. Dafür nutze ich jede Gelegenheit, mir die Luft mit Halbfremden auf Partys und in den Arbeitspausen und an den Bahngleisen zu teilen, wenn ich ein Feuerzeug aufflammen und Rauch in den Himmel steigen sehe.
Z, verdichtet: Maja Goertz