Feige Träume
von Julia Syndram
All meine Träume hatten sich erfüllt. Leider stellte sich im Nachhinein raus, dass es nur Ziele gewesen waren. Früchte, die ich am Wegesrand strebsam eingesammelt hatte. Sie waren einfach zu erreichen, waren ja Fallobst. Kleine knubbelig-harte Dinger, ihre Süße ließ sich nur bei langem Kauen erahnen. Aber sie waren schnelle Kost, nach einem kurzen Marsch konnte man bald neue erreichen. Und je weniger ich nachdachte, desto besser kamen sie mir vor.
Mein Nacken schmerzte bereits vom ständigen nach unten schauen, von der Suche nach neuen Früchten. Den Himmel sah ich nur in der Reflexion von Pfützen und fein gebohnerten Schuhen. Vielleicht war er in der Zwischenzeit purpur geworden, oder karmesinrot, wer wusste das schon. Vielen wie mir begegnete ich auf meinem geraden, steinigen Weg. Wir grüßten uns still mit Kopfnicken,erkannten uns am vertrauten Scharren der Füße. Den kleinen Zweigen und Blättern, die wir in unsrem Trott zertraten. Dem sauren Nachgeruch stressigen Schweißes. Wir existierten unabhängig voneinander, jeder bemüht, seine eigenen Ziele aufzusammeln.
Wenn es dunkel wurde und ich meinen Weg unterbrechen musste, so schloss ich nicht die Augen, ließ den Körper nicht ruhen. Welchen Unterschied machte das schon. Ausharren tat ich so oder so, warum mich dann schlafend stellen? Aber eines Tages kam mir der Weg so weit und die Früchte so hart vor, dass ich mich dennoch niederließ. Der Boden war warm, meine Hände kalt. Es übermannte mich die Erschöpfung und ich fiel in eine tiefe Schwärze hinab.
Auf dem harten Grund meines Bewusstseins angelangt, sah ich sie nun. Aufgebahrt auf seidenen Tüchern lagen sie da: meine Träume. Sie waren reife Feigen, ihr honigsüßer Duft klebte sich in meiner Nase fest. Wer hatte sie dort nur so schön hingelegt? Sie so vollkommen vom Baum gepflückt?
Ich traute mich nicht, das weiße Tuch zu betreten. Die Feigen wirkten so samtig weich, als könnte meine bloße Berührung sie zerstören. Zerbrechlich wie Vogeleier im Nest schienen sie eine tiefe Sehnsucht in mir hervorzurufen. Zögerliche Schritte zu fordern. Da erkannte ich, dass einige von ihnen bereits aufgebrochen waren. Mit der bloßen Hand in zwei geteilt, sodass ich ihr Fleisch aus der Ferne betrachten konnte.
Rot und blau und lila und gelb waren sie, und alle Farben dazwischen. War ich das gewesen, die da in den Träumen rumgepopelt hatte? Mein Es ließ sich ja immer wieder auf solche Späßchen ein. War ungeduldig und versuchte stets meine Füße vom Weg zu zerren.
Jaja, das erschien mir wie eine plausible Möglichkeit. Aber ach, das Es hatte wohl vergessen, wie man sich mit den Feigen beeilen musste. War ihr Fleisch erst mal der Welt ausgesetzt, so musste man sie verzehren.
Sie zu sich selbst werden lassen.
Doch ich wagte es nicht, diesen letzten Schritt zu tun. Kannte nur die harten Früchte, die nie ganz Teil von mir werden konnten. Der Griff ins weiche Unbekannte, sowohl Versuchung als auch Verurteilung. Drum legte ich mich neben das Tuch, mein Blick starrend auf die Feigen vertieft.
Bald schon hörte ich das mahnende Surren der Fliegen. Sie waren mir vom Weg dort oben in meine Finsternis gefolgt. Umkreisten kreischend meine Träume, putzten ihre klebrigen Beinchen auf ihnen. Der Honigduft der Feigen füllte nun den unendlich finstren Raum, meine Finger krallten sich schwer in den unsichtbaren Boden.
Panik stieg in mir auf, aber panisch kann man nicht essen. Und so sah ich ohnmächtig dabei zu, wie die Fliegen langsam meine faulenden Träume verspeisten. Sie waren nun nicht mehr blau, sondern schwarz. Ihre weiche Haut war verschrumpelt und bald schon füllten glänzende Maden das seidene Tuch.
Heiße Tränen stiegen mir in die Augen, während ich mich innerlich verfluchte. Wie töricht war ich nur gewesen, aber ach, es half alles nichts. Der trügerische Duft der Feigen blieb, selbst als nur noch ihre schwarze, starre Haut auf dem Tuch geblieben war. Mein Magen knurrte unaufhörlich, hätt’ ich doch nur wieder meine Ziele zum Essen gehabt. Fallobst war zwar unbefriedigend, aber immer noch besser, als im Dunst von dem, was sein könnte, zurückzubleiben. Je hungriger ich wurde, desto mehr beschlich mich der Gedanke bald ebenso wie meine Träume zu faulen. Die Angst krallte sich fest, es nicht einmal zu bemerken. In der tiefen unendlichen Schwärze meines Unterbewusstseins. Da rappelte ich mich hoch auf meine unsicheren Beine. Abseits vom vorgegebenen Weg hatten sie ihre Kraft verloren. Und langsam stieg ich auf einer Treppe aus Maden und Fliegen aus der Finsternis hinauf. Die kleinen Insekten waren stark genug, meine Schritte auszuhalten. Hatten sie sich doch am Fleisch meiner Träume gelabt.
Oben angekommen erkannte ich meine altbackene Welt kaum wieder. Die Sonne strahlte mir gleißend entgegen, das Surren aus meinen Ohren verschwand. Doch ich war nicht mehr auf meinem Weg, die Obstbäume am Rand fehlten ebenso. Um mich herum war nur hohes Gras, hob und senkte sich wie das Meer im Wind. Getrieben von seinem Rauschen ging ich voran.
Ohne Ziel und dennoch auf der Suche nach meinem Feigenbaum.