Ich schaue zurück und da gibt’s nichts, was rechtfertigt.


oder [clickbait] Was meine Vergangenheit WIRKLICH mit meinem trans Sein zu tun hat

von Senka


Es war schon immer so.     

Wie drohend das klingt. Wie unausweichlich und endgültig.      

Denn es klingt auch nach: deshalb wird es immer so sein.


Diese Worte sollen manchmal rechtfertigen und manchmal vielleicht auch Kraft geben, wenn man zweifelt. Ein Satz, an den man sich festklammern kann, um weiter, immer weiter zu wissen: Das ist keine Phase, da gab es schon früher Hinweise darauf, dass. 

Dass der Blick in die Vergangenheit rechtfertigend wirkt, ist reaktiv. Es ist die Reaktion darauf, dass die Unterstellung des Phasenartigen im Raum steht.

Warum schauen manche zurück, um zu sehen: Ja, das ist gültig, das ist wahr, das stimmt so wirklich? Vergangenes hat nichts Rechtfertigendes. Es ist einfach nur vergangen. Die logische Kausalitätskette bauen sie im Jetzt, es ist ein gegenwärtiges Phänomen, das nur scheinbar in die Vergangenheit zurückreicht, weil es auf Teilen von ihr aufbaut.

trans Sein sollte nicht bedeuten: Ich muss Vergangenes in ein Narrativ packen, um meine Identität nach außen tragen zu dürfen. trans Sein soll / kann / muss bedeuten: In die Zukunft blickend, eine Grundlage haben, um zu entscheiden: Was brauche ich? Ich bin hier, ich bin geschlüpft, ich muss mich nicht rechtfertigen. Was ich für die Zukunft entscheide, baut darauf auf, was mir jetzt wohl tut. In der Vergangenheit war ich denkbar schlecht darin, darauf zu horchen – warum sollte ich mich also danach umschauen?

Wenn ich zurückschaue, dann ist da nichts, was mich erklärt. Aber es gibt vieles, das ich mir selbst vorwerfe. Warum habe ich aktiv vergessen? In der Vergangenheit habe ich weggeschaut, ich möchte auf dieses Wegschauen nicht zurückblicken, um die Umstände, die ich verdrängt hatte, als Beweise hinzustellen: Schaut mal, ist das nicht stringent, macht das nicht Sinn für euch, die ihr das nie erlebt habt, oder stückchenweise, weil ihr wolltet ja auch, als ihr klein wart, weil ihr wart ja in der Kindheit auch ein wenig? Ich entscheide mich, nicht zurückzuschauen, auf das, wie ich mit Sachen umging; ich entscheide mich zu sehen, wie ich mit ihnen jetzt umgehen kann und umgehen will. 


Fun fact: Ich wollte kein Junge sein. Ich wollte nicht nicht Mädchen sein. Ich war irritiert. 

Irritiert ist nicht gleich verwirrt.

Liebend ist nicht gleich besorgt.


Ich erkenne Muster. Ich erkenne, wie ich mich immer wieder unbewusst mit bestimmten Themen auseinandergesetzt habe, Geschichten erzählte. Rechtfertigt das etwas? Nein. Aber ich kann weiterhin schreibend diese Themen behandeln, diesmal bewusst.

Ich weiß, wie gewieft mein Bewusstsein darin sein kann, großflächige Spiegel nicht zu sehen, auch in Spiegelkabinetten. Erklärt das etwas? Nein. Aber ich will mich im Spiegel sehen können, ich weiß noch nicht genau, wie ich das anstellen kann, was ich dafür brauche, aber ich vertraue darauf, dass ich es herausfinde. Bis dahin akzeptiere ich, dass ich mich beim Blick in den Spiegel ins uncanny valley begebe. 

Ich denke mir: Ich fühle mich doch eigentlich ganz okay, wenn ich dusche. Da fällt mir auf: Ja, du bist ja auch krass kurzsichtig. Du fühlst eher beim Duschen, als dass du hinsiehst. Wenn du ein Bad nimmst und die Brille auflassen kannst, nimmst du sie ab, um nicht zu sehen. Weist das auf etwas hin? Lediglich auf einen möglichen Grund, weshalb ich mich irrationalerweise vor einer Laser-OP drücke. Ohne Brille kommt mir mein Gesicht seltsam vor. Aber Brillen sind eigentlich unpraktisch. Ich könnte eine Laser-OP machen und eine Brille ohne Dioptrien tragen. Ich könnte hinhorchen, was ich brauche, um mich zu sehen, im Spiegel und auch sonst.

Wenn ich dusche, fühle ich das Wasser auf der Haut. Das Wasser fließt endlos. Wenn ich unter der Decke liege, fühle ich meinen Körper in meiner Haut. Die Decke markiert meine Grenzen. Sie müssten laut Angaben einer inneren Kartographie woanders sein. Sie sind weder richtig noch falsch, sie sind einfach anders. Gibt es dafür ein Wort? Physische Dysphorie, vielleicht. Das ist für mich als Begriff genauso schwierig zu fassen, wie „Freude“ oder „Trauer“ oder „Liebe“.

All das denke ich mir als Reaktion auf Erwartungen, die jetzt den Begriff des trans Seins prägen. Diese Erwartungen waren anders und werden anders werden. Ich habe ihnen nicht immer entsprochen, ich werde ihnen nicht immer entsprechen. Das brauche ich nicht. Was ich brauche: Den Begriff des trans Seins als eine ausgestreckte Hand oder zu einer Umarmung geöffnete Arme – hallo, hier bin ich, darin finde ich mich wieder.

Der Begriff als Befreiung, einer unausgesprochenen Pflicht zu entsprechen.


Denke dir ein Steckbrett mit Formen für Kleinkinder – ich kann feststellen: Das Steinchen passt in die Form oder das Steinchen passt nicht in die Form. Das Problem mit Narrativen ist, dass man ihnen entweder entsprechen oder sie ablehnen kann. Sie dulden kein „ein bisschen“ oder „in bestimmter Hinsicht“. Vor allem, wenn es um Gender geht, weil cis-binär-normativ und so. Ich bin aber ein eigenes Steinchen und ich will mir die Form selbst formen. Laut TSG ist trans Sein ein Steckbrett mit zwei fremdbestimmten Formen. Wenn die Steinchen durch wollen, brechen sie etwas von sich ab oder verbiegen sich, um diesen zwei Formen zu entsprechen. Irgendwann werden wir vielleicht an dem Punkt sein, dass wir ein Steckbrett mit ganz-ganz vielen Formen haben werden und weiche Strukturen, die das Einfügen der Formen leichter machen, und eine Selbstverständlichkeit, die damit einhergeht.

Ich will mich nicht durch Steckbretter zwängen. Aber an manchen (nicht gerade guten) Tagen bin ich mir selbst ein Steckbrett. Und die Förmchen: Alles, was an mir weiblich oder männlich gelesen werden könnte. An diesen Tagen bedeutet die Entscheidung für das eine auch die Entscheidung gegen das andere. Ich bin mit einem Steckbrett-System aufgewachsen. Soviel verrät mir meine Vergangenheit, diese Prägung ist relevant. Aber sie validiert nichts, sie fragt schmähend: Und DU willst hier reinpassen, ja? 

Ich bin also mein eigenes Steckbrett, oder eher: der Blick von außen ist mein Steckbrett. Der von mir unterstellte, verinnerlichte Blick von außen ist mein Steckbrett. Vielleicht kann das Steckbrett helfen hinzuhorchen? Dahin zu horchen, wo ich Teile von mir verbiege?


Ich stelle mir vor, wie ich da sitze, männlich gelesen werde, mit überschlagenem Bein und kreisenden Handgelenken mit bunten Perlenbändchen drumherum, wie ich den Wollknäuel platziere, um bequemer stricken zu können. Und alle so: Boah, geil, ein dude, der strickt! Husband material. Dreamy boy.

Ich werde ein psychologisches Gutachten brauchen, eventuell, vielleicht, irgendwann, wenn es bis dahin noch nicht abgeschafft ist. Ich werde nicht im Kleid zu den Sitzungen gehen. Ich werde darauf achten, dass ich an den Tagen saubere maskulin konnotierte Kleidung habe, gegebenenfalls mich frühzeitig um den Schlüssel für den Waschraum kümmern, damit sie rechtzeitig trocknen können, wenn ich bis dahin noch keine eigene Waschmaschine habe. Und ich werde sogar sofort bügeln, und nicht – wie gewohnt – die Kleidung aufgestapelt Ewigkeiten liegen lassen, bis eine ewig lange Podcast-Folge rauskommt, auf die ich gespannt bin, und während des Hörens bügele ich den ganzen Rutsch weg und murmele dabei The Working Song aus Disneys Cinderella, in der quengeligen Mausstimme.


We can do it, we can do it

We can help our Cinderelly

We can make her dress so pretty

There's nothing to it, really

 

Ich stelle mir vor, all das zu tun, was ich auch jetzt tue, nur eben männlich gelesen. (I do not comply to manhood. That’s okay, I guess.) Vielleicht wird mir auch zeitlebens diese Vorstellung reichen? Ich habe ein sehr starkes visuelles und taktiles Vorstellungsvermögen. Ich fürchte mich davor, etwas zu unternehmen, was mir eventuell vor Augen führen würde, dass diese Vorstellungen nicht ausreichen. Wenn ich es dann unternehme, bin ich enttäuscht, dass es mir keine klare Antwort gibt, aber es fühlt sich auch beruhigend und warm an. Und meistens reagiere ich so krass emotional auf dieses Beruhigende und Warme, wie ich es von mir nicht gewohnt bin, und ich weiß auch rational: Das ist ein Zeichen, das da mehr dahintersteckt. 

Vielleicht ist dieser Blick in die Vergangenheit die Suche nach einer Garantie dafür, dass man künftige Entscheidungen nicht bereuen wird. Aber das kann ich doch anhand von Vergangenem nicht festmachen. Eine Garantie gibt es nicht. Und um zu wissen, ob ich etwas bereuen werde, muss ich mich entscheiden, die Entscheidungen umsetzen und dann weiter sehen. Auf welcher Grundlage fälle ich die Entscheidung? Auf einer Vorstellung von der Zukunft und meiner emotionalen Reaktion darauf. Auf einem immer wieder sich Vorstellen und Ausmalen, einem zwanghaften Vorstellen und Ausmalen, einem Nicht-loskommen-Können vom Vorstellen und Ausmalen, und einer emotionalen Genervtheit: Gönn dem eigenen Vorstellungsvermögen doch mal eine Pause! Iss ein  Twix oder ein  Kitkat oder ein Snickers, man, chill ej. Geh morgens joggen, bau einen IKEA-Schrank zusammen, krame alte Mutterplatten heraus und erfreue dich am Anblick all der Einzelteile.

Es ist schon oft vorgekommen, dass ich mir etwas vorgestellt habe und dann ist es passiert und war tatsächlich genauso, wie ich es mir ausgemalt habe. Nur eben intensiver – ja. Auch: viszeraler. Bestärkend im Wissen: Du kennst dich. Vorstellungen streifen sich in der Regel einfacher ab. Erlebtes bringt eine Fülle zusätzlicher Informationen, der Grundton aber bleibt. Mit einer Vorstellung muss ich nicht leben. Mit Erlebtem schon. Ich kann etwas nicht unerlebt machen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie es ist, etwas nicht vorgestellt zu haben, nachdem ich es mir vorgestellt hatte. 

Cis Menschen würden über so was wohl nicht nachdenken. Aber wer weiß das schon, wer kennt schon diese cis Menschen?

Auf eine bestimmte Art gelesen werden ist nochmal was Anderes, als sich selbst im Spiegel zu sehen, ist nochmal was Anderes als ruhig auf der Couch zu hocken und ein einnehmendes Buch zu lesen, ist nochmal was Anderes als unter der Decke zu liegen und auf Laubschatten auf der Zimmerdecke zu starren, ist nochmal was Anderes als sich tanzend durch meine Wohnküche zu bewegen. Ich horche in mich hinein. Gilt auch hier überall das Steckbrett? Nein, eher dann: die Tiefensensibilität, diese innere Kartographie. Ich begebe mich auf geologische Landesaufnahme.

Manchmal wache ich auf und die Blutzufuhr zu meinen Händen ist abgeschnitten und ich spüre meine Finger nicht und kann sie nicht bewegen, aber ich weiß, dass ich sie bewegen können sollte, und ich schüttele sie aus dem Handgelenk, um die Durchblutung anzuregen.

Durch das Wegschauen habe ich die Blutzufuhr zu Teilen von mir unterbrochen, und nun schüttle ich mich, um sie anzuregen, und es prickelt schmerzhaft. (Auch das birgt der Blick in die Vergangenheit.) Es hat aber auch etwas Kindlich-Entdeckerisches. Schau mal, wie ich die Hände wieder bewegen kann, ich kann nach Sachen greifen, ich kann ausmalen, ich kann Schattentiere an die Wand werfen.

Aus dem befreienden „Ich muss nicht.“ wird daraufhin ein „Ich kann jetzt…“, und dann ein aufgeregtes, vielleicht auch prahlendes „Guck mal, was ich kann!“

Ich kann meine Hände ausstrecken, nach dem, was mir liegt, wozu ich eine Verbindung spüre, wozu die Verbindungen sich für mich bedeutend anfühlen. Und ganz oft sind das Dinge, die männlich konnotiert sind, auch wenn ich nicht verstehe, welchen Hintergrund diese Konnotationen haben, und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr scheint es mir, dass es keinen Hintergrund dafür geben kann, der mich überzeugen würde. Wieder lässt mich die Vergangenheit und ihr Erklärungspotenzial im Stich. 


Dieses „Guck mal!“, diese Sichtbarkeit setzt Sicherheit voraus, oder ein gewisses Maß an Sicherheit, auf das ich in der Vergangenheit nicht zu hoffen traute. Aber was soll mir dieses Hoffen, das auf andere angewiesen ist, ein fremdbestimmtes Hoffen. Ich versuche mir in der Gegenwart die Sicherheit zu erarbeiten. Die Annahme dieser Sicherheit für die Zukunft ist natürlich auch ein Vertrauensvorsprung an meine Mitmenschen. Derweil erarbeite ich sie mir, soweit es geht, indem ich mir das Mitnicken abgewöhne, wenn nichts innen resoniert, indem ich mir selbst nicht auf die Zunge beiße, vor jedem Satz zu meinen Themen, indem ich mir angewöhne, Raum einzunehmen. Wie einfach, denke ich mir, das sollten alle dürfen: Ich atme und existiere und allein damit kann ich zeigen: Auch das ist möglich, auf diese Art, mit diesem Aussehen, mit diesen Interessen, in dieser Tonlage.