A spectrum of a star, Museum of Broken Relationships // Zagreb

Nach dem Glühen die Szene

von Sebastian Maile


„Du solltest dir vielleicht mal eine Frau suchen, über die du schreiben kannst“, kommentiert meine Freundin Lena spürbar desinteressiert den Abschluss meines Klageliedes über die schier grenzenlose Unerträglichkeit des Schreibens. Sie nippt noch zweimal an ihrem Cappuccino, zieht ihr Handy aus der Tasche und meint, sie müsse leider kurz raus, da rangehen, sie sei gleich wieder bei mir. Von unserem Tisch im Außenbereich des Cafés aus beobachte ich sie dabei, wie sie vor dem Schaufenster des gegenüberliegenden Keramikladens entlang eines von bunten Markisen geworfenen Schattenstreifens auf und ab läuft; stellenweise lacht sie, bleibt immer, wenn sie lacht, kurz stehen, geht dann weiter, wendet. Rechts neben dem Keramikladen macht eine kleine Gruppe von Frauen Yogaübungen hinter einer durch Schriftzüge unterbrochenen Schaufensterscheibe, und ich frage mich, ob deren Blick nach draußen einfach der Ausrichtung zum Licht geschuldet ist, oder ob die kalkuliert erscheinende Positionierung im Raum vielmehr dem Bedürfnis entspringt, sich vor den geilen Blicken männlicher Passanten zu schützen, die ansonsten stehen bleiben und ihnen auf die Hintern starren würden. Vielleicht beides.

Wie ich da alleine sitze, wird mir bewusst, wie furchtbar langweilig und ermüdend es sein muss, von einem Möchtegerndichter Storys über gefühlte Stagnation und die Resignation beim Anblick des blinkenden Striches auf einer leeren Seite aufgedrückt zu bekommen. Der Blinkstrich, immer wieder dieser Blinkstrich. Mir graust derart davor, dass es mich allein schon Überwindung kostet, auch nur mit dem Cursor auf das Icon des Schreibprogramms zu klicken. Einen Moment lang schäme ich mich für mich selbst, schäme mich für mein Gejammer, meine Eitelkeit wie auch für mein seit Wochen anhaltendes Unvermögen, auch nur einen vernünftigen Satz zusammengebastelt zu bekommen. Sogleich beginne ich jedoch damit, die Selbstzweifel zu kompensieren, indem ich überlege, ab wann man sich eigentlich Dichter nennen darf. Vielleicht, wenn man etwas veröffentlicht hat? Erst dann, wenn man Geld für seinen Kram gesehen hat? Oder genügt es schon, in Gesellschaft so zu tun, als wäre man einer, indem man sich exzentrisch gibt und teilzeitverzweifelt, die obligatorische Jammerei des Dichters über die eigene Unfähigkeit bereits voll verinnerlicht?

Noch bevor Lena sich wieder zu mir setzt, habe ich mich mit dem Weg des geringsten Widerstandes arrangiert und tief befriedigt für mich festgehalten, dass das Dichtersein letztlich doch nur eine Frage der eigenen Haltung sein könne, sicherlich auch eine der Einstellung zur Welt, des Observierens der Gesellschaft, aber keine Frage der Fähigkeit zur Dichtung, ja vielleicht nicht einmal eine Frage des Schreibens oder Nichtschreibens. Ich frage Lena, die gerade ihren kalten Cappuccino weggetrunken und noch einen Milchkaffee bestellt hat, ob sie vielleicht wisse, ob es im Deutschen eine korrekte Bezeichnung für den elendigen Blinkstrich in Word gebe, aber sie zuckt nur mit den Schultern und meint, Blinkstrich sei doch eigentlich ganz treffend und hält dann Ausschau nach ihrem frischen Kaffee.

„Ich denke, ich würde nicht über eine Frau schreiben wollen, oder ganz generell über Frauen”, sage ich und versuche damit nochmals das Schreibthema aufzugreifen. „Ich finde ja, die Männer-Frauen-Story hat sich nach 2017 irgendwie erledigt; die Romantik ist doch tot. Ich glaube, die literarische Entwicklung romantischer Stoffe ist wirklich nachhaltig beschädigt, wenn jetzt in jedem Mann ganz automatisch der potenzielle Täter und in jeder Frau das Opfer gesehen wird, findest du nicht?“

„Naja, tot ist vielleicht übertrieben, aber angeschlagen sind einige romantische Motive natürlich schon, das stimmt. Viele solcher Texte beruhten bisher eben auf eindimensionalen Frauenfiguren und übergriffigen Männerbildern. Aber du kannst ja noch Serienmörderkrimis schreiben oder erotische Kurzgeschichten für Frauen, da stört sich noch niemand an der verkorksten zwischengeschlechtlichen Beziehung. Ich habe da erst kürzlich ein Interview mit einer Autorin gelesen, die so Rosamunde Pilcher Romanzen schreibt und ihre Bücher hunderttausendfach verkauft. Ich habe da mal reingelesen. Echt ganz furchtbares Zeug, ganz furchtbar veraltete Männerfiguren und so bedürftige Frauen, die sich irgendwo im Urlaub treffen und dann spät nachts am Pool vögeln, nur weil man zuvor beim Anstehen am Buffet über seinen Schnitzelteller hinweg ein paar heiße Blicke ausgetauscht hat.“

„Echt faszinierend, dass sowas doch noch geht”, sage ich, „also dass Leute sowas überhaupt noch kaufen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich kann den Spieß ja nur noch umdrehen, die Rollen vertauschen, die Frau aus der Passivität herausholen, sie in den Mittelpunkt der Handlung stellen, sie eigenständig agieren lassen, vielleicht sogar als Täterin“.

Inzwischen habe ich ein Bild von Uma Thurman im Kopf, inklusive der Gewissheit, mich schon vor Beginn des ersten Entwurfes einer solchen Frauenfigur als Dieb und Blender zu empfinden. Wie viel Nachahmung steckt eigentlich im Schreiben?

„Na, wenn du da keinen Bock drauf hast oder dir das zu mühsam ist, dann schreib doch Gedichte“, sagt Lena und lacht, „da kannst du einfach einen Kackhaufen in der Morgensonne beschreiben, seinen Geruch, die Farbnuancen, und es wird immer Leute geben, die das mögen. Eigentlich wie im Museum, wenn jemand auf den Boden gekotzt und sich schnell verdrückt hat. Das dauert sicher keine fünf Minuten, dann steht eine Traube Leute drumherum und versucht die Kotze zu interpretieren.“


Als wir nach einem Barbesuch später am Abend pizzatoast- und longdrinkgefüllt auf meinem Fahrrad zu meiner Wohnung aufbrechen, um noch einen Absacker zu trinken, freue ich mich darüber, dass unser sich an das Schreibding anschließende Gespräch auf Kosten hochkulturaffiner Alki-Vernissagegänger doch noch auf einen abendfüllenden, weniger holprigen Weg geraten ist, der uns beide amüsiert hat. Nicht über uns selbst zu sprechen, sondern uns stattdessen gemeinsam über andere lustig zu machen, über die Menschheit in ihrer Gesamtheit, über das Kulturverständnis einer sich selbst als Elite empfindenden Minderheit; all das, das Außerhalb- und Darüberstehen, vielleicht auch der Schnaps, hatten zumindest bei mir ein Gefühl von Nähe erzeugt, das ich schon lange nicht mehr empfunden habe.

So lange unterwegs zu sein, war ursprünglich gar nicht meine Absicht. Eigentlich hatte ich mir infolge mehrerer geplatzter und nach eigenem Ermessen erbärmlicher Schreibversuche vorgenommen, es am Wochenende mal wieder mit einer Schreibnacht zu versuchen, was bedeuten würde, mich bei zunehmendem Schlafentzug wohldosiert volllaufen zu lassen. Ungestört von aller Außenwelt – so hoffte ich zumindest - würde sich die Genialität sicherlich von selbst einstellen, und ich wollte sie ungefiltert in die Tasten hämmern, bis irgendwann nichts mehr zu machen war, dann lange schlafen. Dass solche Versuche oftmals ein ernüchterndes Ergebnis, gepaart mit einer guten Portion Schamgefühl hervorbringen, hatte ich seit der letzten Schreibnacht erfolgreich verdrängt; offenbar scheint das Schreiben für mich das zu sein, was Tinderdates für meine paarungswilligen Freunde sind.

Während mir all das durch den Kopf geht, gelange ich zu der Überzeugung, dass eine durchzechte Nacht mit Lena einsamen angetrunkenen Schreibversuchen in jedem Fall vorzuziehen ist und dass ich das Schreiben über Erlebtes oder Erdachtes wohl ohne zu zögern gegen das Versprechen eines permanenten Erlebens eintauschen würde.

Um mit Lena auf dem Gepäckträger die Steigung des Radwegs nach der Autobahnunterführung bewältigen zu können, steige ich kräftig in die Pedale. Wäre das Treten nicht so anstrengend, würde ich nicht so schwitzen und sähe von außen betrachtet nicht so lächerlich dabei aus, wäre die Szene beinahe romantisch. Da radeln zwei junge Menschen durch die Nacht, auf einem Schrottrad aneinandergeklammert, im Rücken die bunten Lichter der auf der Autobahnbrücke vorbeirauschenden Fahrzeuge. Deren Lärm lassen sie immer weiter hinter sich, sie fahren der Stille entgegen, man hört Zikaden, wenn auch nur beim Passieren des Grünstreifens, auf dem allerhand McDonalds Müll verteilt liegt. All das untermalt mit Cut Copys Strangers in the Wind oder etwas Ruhigem von Modest Mouse und es wäre perfekt in Szene gesetzt. Dass Lena mich bittet, doch nach Möglichkeit keine Schlaglöcher oder Kopfsteinpflaster mehr mitzunehmen, weil ich dadurch den Unterleib demoliere, holt mich zurück in die Realität, die auch schön ist, leider aber penetrant nach Frittenfett duftet, dessen süßlicher Geruch sich in der hoffentlich letzten tropischen Nacht dieses Sommers besonders gut in der Luftschicht oberhalb des Teers festhält.

Kurze Zeit später sitzen wir auf meinem Balkon und trinken Astra, kalten Weißwein und Spezi. Lena hat ihre Schuhe und Socken ausgezogen, um ihre Fußsohlen an die warmen Fliesen pressen zu können, für obenrum jedoch wünscht sie sich eine Decke, die ich ihr bringe und in die sie sich sogleich einwickelt. Sie erzählt mir von ihrer geplanten dreiwöchigen Italienreise, die sie ab der nächsten Woche unternehmen will, um mal aus allem raus- und dabei hoffentlich runterzukommen. Es soll etappenweise bis zum Stiefelabsatz gehen, bis nach Santa Maria di Leuca, dann wieder zurück über Bari, Tivoli und Florenz. Sie erzählt mir davon, was sie dort geplant hat, in welche Hotels und auf welche Campingplätze es sie verschlagen werde, welche Besonderheiten die Landschaft dort bereithalte und dass sie gespannt sei, ob es dann immer noch so heiß sein würde wie in dieser Woche, weil sie ja noch im Meer baden wolle. Ich höre nur mittelinteressiert zu, da es mir schwerfällt, ihre Begeisterung nachvollziehen zu können. Denn selbst habe ich noch nie den Drang verspürt, alleine in den Urlaub zu fahren, auch nicht gemeinsam mit Freunden. Dass ich München das letzte Mal länger als für ein paar Tage verlassen habe, ist nun mehr als acht Jahre her. Das war eine Studienfahrt nach Südfrankreich, die Küste und das Hinterland für etwas mehr als eine Woche; Obama hatte gerade seine rote Linie gegen Giftgasattacken in Syrien formuliert, Merkel wollte im Herbst zum dritten Mal Kanzlerin werden, die Wochenmärkte waren schön, das Meer sehr ruhig und türkis. Ansonsten ist die Erinnerung daran inzwischen großteils verblasst. Aber ich vermisse hier schließlich nichts, ich kenne keine Sehnsucht nach der Ferne, mir genügt es vielmehr vollkommen, mich an einem Isarstrand in mein Gehirn zurückzuziehen und von dort aus abzuschweifen. Ich kann dann überall sein, denke ich. Inzwischen habe ich gelernt, diese Einstellung für mich zu behalten, zumal dann, wenn andere gerade dabei sind, euphorisch von ihren bevorstehenden oder bereits unternommenen Reisen zu berichten. Manchmal frage ich mich dennoch, ob ich mir meine Haltung überhaupt leisten kann, wenn es doch mein Wunsch ist, über Dinge, über Erlebtes, über Erfahrungen schreiben zu können. Aber was ist Erleben, was sind Erfahrungen? Erlebt man auch im Traum, erlebt man in Gedanken? Sammelt man auch Erfahrung durch das präventive, sich stets wiederholende Durchdenken von Modellsituationen, die man sich zurechtlegt? Laufe ich dabei Gefahr, irgendwann alle Dinge so oft durchdacht zu haben, dass ich sie zu einer charakterlosen Idealvorstellung zerdacht haben werde und dann letztlich vor dem Nichts stehe? Werden mir irgendwann die Worte fehlen? Ich frage mich, wie Lena frieren kann; mir ist unangenehm warm, vielleicht auch, weil ich befürchte, dass sie mein Desinteresse an ihrer Erzählung jederzeit erkennen könnte, wenn ich nicht an den richtigen Stellen einhake und interessiert nachfrage.


 Die viele Flüssigkeit zeigt inzwischen Wirkung und ich muss im Viertelstundentakt zur Toilette, während Lena weiter ihren Wein trinkt und dabei weder betrunkener zu werden scheint, noch ein einziges Mal aufs Klo muss. Als ich wieder nach draußen komme, zeigt sie in den Himmel und beteuert, gerade eben Sternschnuppen gesehen zu haben. Sie meint, wir sollten uns hinlegen, damit wir die Sterne weiterhin im Blick behalten könnten, erhebt sich aus ihrem Stuhl, verschwindet kurz nach drinnen und kommt mit zwei meiner Thaikissen zurück, die sich zur Matratze ausfalten lassen.

Nachdem wir eine Weile still nebeneinandergelegen haben, bemerke ich bei geschlossen Augen, dass sie sich zu mir gewandt hat, sie atmet ruhig und tief, scheint aber nicht zu schlafen. Ich öffne die Augen und drehe mich zu ihr, sehe sie an, sie sieht mich an, kommt dann näher. Mein Gehirn wechselt sogleich aus der Tiefenentspannung in den Panikmodus. Die Ampel ist grün, die Ampel ist grün, die Ampel ist grün, geht mir durch den Kopf. Aber gilt das auch für mich? Sind wir morgen noch Freunde, wenn wir jetzt Gas geben? Während das Gehirn noch Panik schiebt, sind meine Lippen schon beschäftigt, und jetzt noch einen Rückzieher zu machen, erscheint mir nicht mehr angebracht zu sein. Mich in Gedanken darin zu versichern, die Kontrolle über die Situation jederzeit wiedererlangen zu können, trägt jedoch recht bald zur Entspannung bei und lässt mich schließlich genießen, was ich selbst ganz sicher nicht gewagt hätte. Ich frage mich, ob ich mich jetzt anders fühlen würde, wäre ich eine Frau, frage mich, ob Männer und Frauen tatsächlich so unterschiedlich denken und fühlen. Erst als meine Blase wieder bis zum Bersten gefüllt ist, bleibt mir keine andere Wahl mehr, als zu unterbrechen. „Ist gut, mach aber schnell“, sagt Lena und lächelt mich an. Auf dem Weg zum Bad werfe ich einen Blick ins Schlafzimmer, inzwischen sicher, dass wir bald dort landen würden, wenn ich es nun weiterlaufen ließe. Aber will ich das wirklich? Die Freundschaft riskieren, all das über Jahre gewachsene? Würde ich nach all dem Alk und unter Stress überhaupt noch einen hochbekommen?

Der Schließmuskel meiner Blase verkrampft ganz furchtbar und streikt noch mehr, je länger ich darüber nachdenke, dass der inzwischen mehrminütige Badezimmeraufenthalt auf einen ausgedehnten Stuhlgang hindeuten würde, der gar nicht stattfand. Mir auf der Schüssel sitzend mantraartig vorzusagen, ich sei der Herr über meinen Körper, will einfach nicht greifen. Umso dankbarer bin ich dafür, dass mein Gehirn plötzlich auf Automatismus schaltet und mich nur noch rationale Entscheidungen treffen lässt.

Zuerst ziehe ich unvollendeter Dinge meine Hose wieder hoch, wasche mir die Hände, greife dann in meinen Badezimmerschrank und schlucke eine Portion Sildenafil, die hoffentlich ausreichen würde, um mich nicht zu blamieren. Dann verlasse ich das Bad, stecke den Kopf kurz durch die Balkontür und sage Lena, die bereits ihr Handy aus der Tasche gezogen hat, es aber gerade weglegen will, dass ich noch kurz in den Heizungskeller müsse, weil irgendetwas mit dem Wasser nicht ok sei, was genau genommen nicht einmal gelogen ist. Begeistert scheint sie nicht zu sein, aber ich verspreche, mich wirklich zu beeilen. Da meine Blase nun das Entspannungssignal bekommen hat, dass sie so dringend brauchte, eile ich durch das Treppenhaus nach unten, entriegle die Tür zum Innenhof und renne hinaus, die Hose bereits geöffnet. Kein dreiwöchiger Urlaub in Italien konnte so schön sein wie das Gefühl der Erleichterung, das ich beim Tränken des hausgemeinschaftlichen Rosenbeetes empfinde.

 Deutlich entspannter lege ich mich zurück zu Lena, die das offenbar fühlen kann und den Faden ohne zu zögern an der Stelle seines Abrisses wieder aufnimmt. Die Wirkung von Sildenafil setzt nach etwa einer halben, manchmal auch erst nach einer Stunde ein, die Placebowirkung glücklicherweise bereits etwas früher, wenn es gelingt, das Wissen um die Wirkungsweise für einen Moment beiseite zu schieben.

„Wollen wir vielleicht ins Schlafzimmer wechseln? Da gäbe es weniger Mücken“, schlägt Lena vor, die seit einer Weile auf mir gelegen hat, jetzt aber aufgerichtet auf mir sitzt und mich erwartungsvoll ansieht. Antworten muss ich nicht, sondern nur die Hand ergreifen, die sie mir inzwischen stehend hinhält.

Während ich mich ausziehe, schnell auf einem Kaugummi herumkaue und ein Kondom bereitlege, verschwindet sie kurz ins Bad, kommt aber bald wieder heraus, ihre Kleidung bereits bis auf die Unterhose abgelegt. Für einen Moment bleibt sie im Türrahmen stehen, sieht mich an und lacht. Denn ordentlich und praktisch veranlagt, wie ich bin, liegen meine Boxershorts natürlich schon zusammengelegt bei meinen übrigen Klamotten und ich damit völlig nackt im Bett, die Bettdecke am Bettende, weil ausprobiert, aber zu warm. Um ihr Lachen aufzugreifen, strecke ich mich kerzengerade aus, presse die Beine aneinander, die Arme an den Körper, schließe ganz kurz die Augen und sage „Ich wäre dann soweit“. Sie sieht wunderschön aus, als sie auf mich zukommt. Nicht so selbstsicher wie bisher an diesem Abend, was sich an der Art ihrer Bewegungen erkennen lässt, aber doch mit einem Ausdruck im Gesicht, der sagt, dass sie hier tut, wonach ihr ist. Ohne zu fragen, nimmt sie mir meine Brille ab, wovon ich aufgrund meiner ausgeprägten Kurzsichtigkeit eher mäßig begeistert bin, wobei ich das, an diesem Punkt angelangt, nicht mehr ausdiskutieren möchte und es deshalb dabei belasse. Als blöd erweist es sich lediglich noch einmal vor dem Überstreifen des Kondoms, da ich kurz in das Reservoir hineinpusten muss, um zu ermitteln, wo vorne und hinten ist. Dass Lena hier noch einmal herzhaft zu lachen beginnt, stört mich dabei kaum. Dann sitzt sie auf mir, ein leicht verschwommenes Wesen, dessen Gesichtszüge zu deuten mir unmöglich ist. Meine Hände sind eiskalt und schwitzen vor Nervosität, doch ihre tun es auch, und langsam stellt sich eine Routine ein; ihr leichtes Zittern lässt nach, genau wie meines. Dass ein Stellungswechsel nicht genehm ist, bemerke ich auch ohne ihre Mimik deuten zu können daran, dass sie mich doch sehr bestimmt wieder nach unten küsst, sobald ich versuche, mich aufzurichten. Eigentlich fühlt es sich ganz toll an, aber mangels klarer visueller Eindrücke und vielleicht auch aus Bewegungsmangel schweifen meine Gedanken ein wenig ab. Ich überlege mir, wie man das sich gerade zutragende Schauspiel ausformulieren könnte, ohne dabei in eine albern verschämte oder gar metaphernreiche Beschreibung einer für den Literaturkanon bestimmten Sexszene abzurutschen. Was sehen Aliens oder Gott? Was ein chinesischer Regierungsbeamter, der sicherlich eine Kamera in meinem Rauchmelder untergebracht hat, dessen rote LED gelegentlich aufleuchtet? Werde ich noch länger geküsst, drohe ich zu ersticken, weil meine Nasenschleimhaut durch die Wirkung des Sildenafils derart zugeschwollen ist, dass ich nur noch durch den Mund atmen kann. Der Sauerstoffentzug erweist sich jedoch entgegen meiner ersten Einschätzung als ganz großartig. Trotz Atemnot und sich zwischenzeitlich einschleichender Langeweile bin ich vollauf begeistert. Kurz überlege ich, wie es wohl bei einer potenziellen Leserschaft ankäme, würde ich das eben Erlebte so abstrahieren, dass es sich um ein Date mit einer Kommunistin handeln würde, die mit einer in eine Aldi-Tüte verpackten SS-Uniform zu mir gekommen wäre, vom tiefen Wunsch beseelt, mit mir, der allzeit sein adrettes Mützlein trüge, den Nationalsozialismus zu ficken.


Wenig später liegen wir rauchend nebeneinander im Bett. Nein, natürlich nicht. Vielmehr liegen wir ziemlich klebrig nebeneinander auf einem klammen Laken und versuchen von Hitze und Müdigkeit erschöpft die vergangenen Minuten psychisch zu bewältigen, indem wir beide beteuern, dass wir doch wirklich reif genug wären, um Sex und Freundschaft in Einklang bringen zu können. Dann gibt es noch einen Gutenachtkuss, der so klingt, als würden wir auf unsere Reife anstoßen. Wir drehen uns zur jeweiligen freien Seite des Bettes und versuchen zu schlafen, während es draußen wieder hell wird und die Vögel zu schreien beginnen. Bis ich einschlafe, denke ich darüber nach, ob das ständige Halten der Beobachterposition mich zu einem schlechten Menschen macht, der andere Menschen nur noch als Stoff betrachten kann, der sie als Story denkt, der sie einwebt wie die Spinne eine Fliege einwebt, die ihr ins Netz gegangen ist nach einer langen Zeit des Wartens. Man könnte meine Art zu Sein aber auch als Chance begreifen für den Erhalt des Beiläufigen wie des Besonderen, als eine Chance auf konserviertes Leben, konserviertes Erleben, wenn es mir denn irgendwann gelänge, die richtigen Worte für all das zu finden. Der letzte Gedanke, den ich denke, bevor ich einschlafe, ist der, dass es gleichermaßen schön ist und schlecht und dass es mir doch eigentlich egal sein kann.