(Nicht-) Mutterschaft, oder

Warum ich kein Kind haben werde

von Nina Süßmilch



Es ist nicht so, dass ich kein Kind haben will. Es ist nur so, dass ich keins haben werde.


Als ich Motherhood von Sheila Heti las, war ich genervt. Ich war genervt von der Protagonistin und ihrer Unschlüssigkeit, ihrem jahrelangen Zaudern. Bei mir war das alles ganz anders, denn ich glaubte zu wissen, was ich wollte: Ich hätte gerne ein Kind gehabt, konnte aber nicht. Ich hatte also nichts mit Motherhood zu tun, wo die Protagonistin scheinbar kein Kind wollte, aber dennoch unsicher in ihrer Entscheidung wirkte. Als Endometriose-Patientin war es mir in den letzten fünf Jahren nicht gelungen, schwanger zu werden. Richtig, ich schreibe “gelungen”. Denn ganz gleich, wie oft ich mir sagte, ich könne nichts dafür, blieb immer dieses Gefühl des Versagens. Es legte sich wabernd, neblig um mich und flüsterte: Dir gelingt es nicht. Du schaffst es nicht. Dein Körper ist kaputt. Der kann das nicht.

Ich hatte die leistungsorientierten Maßstäbe unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems gut verinnerlicht, in mein Körperverständnis übernommen. Die Schuld lag bei mir als Frau. Nach drei Operationen und allen möglichen Tests hatten wir es sogar Schwarz auf Weiß. Das Ergebnis betrachtete ich mit einem Potpourri an Gefühlen, darunter schwang eine gehörige Portion Selbstmitleid mit. Und dann lehnte ich mich zurück. Ich hatte es ja nun schriftlich, ich konnte kein Kind bekommen. 

„Und eine künstliche Befruchtung? Oder Adoption? Ein Pflegekind?“, fragten Menschen, die mich lieben und mir helfen wollten. Tatkräftig brainstormten sie und bemerkten nicht (ich habe es ja selbst kaum erkannt), wie ich mich innerlich aufbäumte. „Eine Adoption ist nicht drin, dafür sind wir zu arm und fast schon zu alt“, murmelte ich ausweichend. Ein Pflegekind könnte ich nie wieder weggeben, wenn ich es einmal aufgenommen hätte. Außerdem wer will permanent das Jugendamt um Erlaubnis bitten, wenn es um Entscheidungen für das Kind geht? Es blieb also die künstliche Befruchtung - kostspielig, klinisch und so alles andere als romantisch. Doch auch daran war nichts Schlimmes. Ich kannte mehrere Freundinnen, die den gleichen Weg gingen, manche zögerlich, andere selbstsicher, aber sie gingen ihn.


Im letzten Winter fuhren wir dann in den Norden, nach Dänemark und heirateten an einem verregneten Dezembertag in einem uralten strahlend gelben Rathaus, obwohl wir das Konstrukt Ehe als ungerecht und überholt empfanden. Aber ich war müde und die Zeit lief uns davon. Verheiratet könnten wir einen Termin für eine künstliche Befruchtung ausmachen.

Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen eine künstliche Befruchtung anteilig zu mindestens 50%, teilweise auch mehr. Manche übernehmen sogar die vollen Kosten für bis zu drei Versuchen der In-Vitro-Fertilisation. Meine Betriebskrankenkasse würde 50% von insgesamt zwei Versuchen zahlen. „Vorher müssen Sie aber unbedingt vor den Altar,” drängte die Sachbearbeiterin am Telefon. Und beeilen müsse ich mich. Denn ich würde ab dem Frühjahr zu alt sein. Der Staat unterstützt bei einem Kinderwunsch fast ausschließlich verheiratete, cis heterosexuelle Paare, wenn die Frau unter 40 und der Mann unter 50 Jahre alt ist. Nur sehr wenige Bundesländer fördern inzwischen auch queere Paare. Am weitesten geht dabei Bremen, das diverse und trans Paare unterstützt, die unverheiratet sind und bei dem zumindest ein*e Partner*in weibliche Geschlechtsorgane hat. Berlin hilft inzwischen lesbischen Paaren finanziell bei der künstlichen Befruchtung. Doch das bleiben Ausnahmen. Das Gesetz “Zur Herbeiführung einer Schwangerschaft”, dass sich auf verheiratete, und heterosexuelle Paare bezieht ist dennoch nicht diskriminierend, wie das Bundessozialgericht erst im November 2021 erneut entschieden hat. Willkommen im 21. Jahrhundert.

Menschen, die also über weniger Geld verfügen und ein Kind haben möchten, werden tendenziell in eine Ehe gezwungen. Wenn sie nicht dem klassischen heteronormativen Bild entsprechen, haben sie fast keine Chance auf finanzielle Hilfe. Untermauert wird das ungerechte Konstrukt noch durch das ‘Ehegattensplitting’, bei dem verheiratete Paare, ob mit oder ohne Kind, bei unterschiedlich hohem Verdienst kräftig Steuern sparen können. Das traditionelle Rollenbild ist so rechtlich zementiert und wird durch ökonomische Realitäten wie Genderpaygaps und patriarchale Karrieremodelle noch untermauert.

Wann immer ich an diese Art Familienkonstrukt denke, wird es sehr eng um meinen Hals. Das alles hat irgendwie nichts mit mir, nichts mit uns zu tun. Oder zumindest wollte ich nicht, dass es etwas mit uns zu tun hat. Irgendwann wurden meine Zweifel dann sehr laut. Ich durfte mich hier nicht durchmogeln. Ich musste ehrlich zu mir sein. Wollte ich wirklich um jeden Preis ein Kind? Denn wenn ich wirklich eins wollte, dann würde ich doch alle Möglichkeiten ausschöpfen und eben keine Zweifel haben, oder? Wir würden uns gemeinsam um das Kleine kümmern, könnten unsere Jobs irgendwie so aufteilen, dass wir nicht das klassische Mama-Papa-Kind-Modell leben würden. 


Beruf und Kind, beides kann man schon irgendwie vereinen, wird uns sehr oft vermittelt. Mehr noch: Das Schreiben und ein Kind und ein Brotberuf dann sicher irgendwie auch. Das machen doch so viele. Ich frage mich dabei aber immer häufiger zu welchem Preis. Es gibt in meinem Umfeld nur sehr, sehr wenige Paare, denen die Gleichstellung von Familie und Beruf wirklich gelingt. In den meisten Konstellationen leistet die Frau deutlich mehr Care-Arbeit, also Sorgearbeit in jeder Hinsicht, während er Karriere macht oder zumindest Vollzeit arbeiten geht. Die Covid-19 Pandemie hat diese Kluft wieder sehr deutlich werden lassen, wo vor allem die Frauen zu Hause das Home-Schooling der Kinder betreuten, den Haushalt irgendwie schmissen und zwischendurch ihren Brotjob im Homeoffice erledigten. 

Wenn man nun neben der Brotarbeit noch irgendeiner anderen kreativen Profession nachgeht, dann wird die Aufteilung wirklich schwierig. Mein Partner und ich sind beide freischaffend. Er ist Musiker, ich schreibe und es gelang in den letzten Jahren gut, uns gemeinsam um unseren alternden, irgendwann sehr kranken Hund zu kümmern. Doch wir haben beide wenig geschlafen, deutlich weniger geschrieben und komponiert. Und wenn ich am Schreibtisch saß, dann immer mit einem schlechten Gewissen. In den letzten Wochen lag ich häufiger neben dem Hundekorb, als ich vor dem Computer saß.


Ich brauchte viele Jahre, um mich überhaupt als Autorin zu verstehen und noch länger, um den Mut aufzubringen, mich als solche zu bezeichnen. Irgendwann habe ich ein Aufbaustudium an der Freien Journalistenschule gemacht, um das Handwerk zu lernen. Alles natürlich neben der Brotarbeit. Dann konnte ich erste Artikel veröffentlichen, die mehr schlecht als recht bezahlt werden. Ich schreibe mittlerweile neben bezahlten Artikeln vor allem Kurzgeschichten und Essays, die größtenteils auf Online-Portalen veröffentlicht werden und ein Tauschgeschäft sind: Du schreibst und wir veröffentlichen, um deine Stimme hörbar zu machen. Das ist ein Anfang, aber nichts, womit ich meine Miete bezahlen könnte. Nur sehr wenige können überhaupt vom freien Schreiben allein leben, sei es als Autor*in oder Journalist*in. Für die Meisten gibt es einen Zweitjob, der manchmal fast ein Vollzeitjob ist. Gelingt es dennoch mit dem Schreiben Geld zu verdienen und zum Beispiel einen entsprechend großen Verlag zu finden, der Texte veröffentlichen will und auch adäquat honorieren kann - fast ein Ding der Unmöglichkeit im hierarchisch aufgebauten und starren Literaturbetrieb - besteht die Arbeit nicht nur aus sorgfältiger Recherche und dem Schreiben. Lesungen und öffentliche Auftritte gehören zu einer Veröffentlichung und sind Teil des Honorars. Wie soll das alles mit einem Kind funktionieren? Ich weiß, es gibt Menschen mit Kindern, denen es gelingt sich im Literaturbetrieb zu etablieren und vor ihnen habe ich den höchsten Respekt. Aber der Gedanke, dass das Schreiben mit einem Kind - nachdem ich so lange gebraucht hatte, es mir zu erarbeiten - wieder wegfallen oder zumindest deutlich weniger werden würde, ist omnipräsent. Und das panische Gefühl, das dabei in mir aufkommt, hat mich lange beschämt.

Obwohl mein Partner und ich die Hochzeit als notwendiges Übel sahen, etwas von staatlicher Seite besiegeln zu lassen, was für uns längst gelebte Wirklichkeit war, geschah etwas Überraschendes nach der Trauung. Ich sah uns jetzt als dieses Paar, das schreibt und komponiert, Musik macht und kreativ arbeitet. Und ich sah kein Kind mehr. Nach vielen Jahren des Grübelns und Planens, der Tests und des Wartens konnte ich es mir eingestehen und es war eine Erleichterung. Ich begann allmählich zu verstehen, dass das, was ich vom Muttersein erwartete, nicht unbedingt mit einem eigenen Kind einher gehen musste.


Alle Geduld, Liebe und Fürsorge darf auch in einen Text fließen - oder zumindest fast alles davon. Ich muss mich nicht schlecht fühlen, weil ich am Schreibtisch sitzen will.  Nur ich konnte diese Entscheidung treffen und das Gefühl der Selbstermächtigung und der Freiheit, das damit einher geht, ist ein großes Glück und vor allem ein großer Luxus. 

Es funktioniert übrigens beides gleichzeitig; die Trauer um ein Kind, das ich nicht haben werde und die Erleichterung darüber, dass ich das Schreiben an erste Stelle setzen kann. Meistens kann ich die Ambivalenz gut aushalten. Nur manchmal noch tappe ich in die Falle der patriarchalen Leistungsgesellschaft und ich fühle mich schlecht, dass der Wunsch nach einem Kind offensichtlich nicht groß genug war. Oder zumindest nicht größer als der Wunsch nach dem Schreiben. Jetzt aber kann ich mich selbst in einen Text bringen. I will write my self, wie Hélène Cixous vor 46 Jahren in Das Lachen der Medusa forderte. And surely I will.



Referenzen:

The Laugh of the Medusa von Helene Cixous, Keith Cohen und Paula Cohen, 1976, University of Chicago Press

Taz-Artikel: Babys für alle von Lotta Drügemöller, 21.11.21 (https://taz.de/Hilfe-bei-Kinderwunsch-fuer-queere-Paare/!5814327/)

Motherhood von Sheila Heti, Penguin Random House, London 2019