Schwerkraft
von Matrosenhunde
Schwerkraft I
Ich warte im ersten Stock eines hundertneunzehn Jahre alten Hauses und mache mich leicht. „Bitte Vorsicht auf der Treppe“ hat der gebürstete Makler gesagt und ich habe die ernsthafte und mich gleichzeitig amüsierende Sorge, mit dem krummen Fußboden direkt in den Keller hindurchzufallen. Es ist ja ein Irrglaube, zu meinen, fatale Dinge könnten aus Groteske nicht passieren, der Darwin-Preis für lakonische Todesfälle hält eindeutig dagegen und als Fukushima explodierte, schien die Sonne. Dass schwere Störfälle keiner Theatralik bedürfen, ist doch das eigentlich Unvorhersehbare des Lebens.
Schwerkraft II
Du stinkst, du hast wieder geraucht
Ja soll ich besser nichts sagen
Was schaust du so
Du hast mir gar nicht zugehört
Nein wiederholen ist nicht zuhören
Warum bist du so angespannt
Ah ja jetzt plötzlich Sonst achtest du doch auch nicht so auf den Verkehr
Andere Menschen wären glücklich, wenn sie mit mir plaudern könnten
Viele hundert Kilometer lang
Ich bin sehr lustig aber nicht mit dir Arschloch
Was ist nur bei dir kaputt Du emotionaler Eisklotz
Ich kann das nicht mehr ich halte das nicht aus
Man hat ja keine Vorbilder, wie das gehen soll, man kennt nur Filme, in denen bei Autostreits entweder geschwiegen wird oder das Radio ganz laut aufgedreht oder was aus dem Fenster geworfen bei voller Fahrt (Kippen, McDonalds-Reste, alle CDs aus dem Handschuhfach, wichtige Schlüssel, Prepaid-Handys) oder gleich einer erschossen wird. Ich lasse mich weinend auf den Asphalt sinken und schmelze dahin, der trockene Boden ist überraschend und tröstlich warm, ich sehe die Picknickplatzmülltonnen und den Müll, aber leider keine Zukunft. Während ich liege und weine weiß ich, dass ich irgendwann aufstehen muss. Dann doch spätestens, wenn Leute kommen, sonst muss ich mich dazu verhalten. Blöderweise habe ich mich jetzt in eine Sackgasse manövriert, wenn ich mein Gesicht nicht verlieren will, muss ich mich jetzt gehörig weiterstreiten oder für immer schweigen. Wir müssen ja noch 438 km weiterfahren und dann müssen wir uns immer noch kennen denn wir haben ein Kind.
Schwerkraft III
In sehr kaltem Wasser unterzutauchen, ist mein Sich-Spüren. Eine Vergewisserung, dass ich mir das nicht alles ausgedacht habe, dass ich die Welt nicht erfunden habe und alles klein ist, profan und entzaubert, sondern größer als ich, tiefer und kälter und in der Lage, mir etwas zuzufügen, einen emotionslosen Seins-Beweis. Deswegen mag ich nicht-lebensbedrohliche Katastrophen und Extremwetterlagen. Kälteeinbrüche, die „zieh dich an, sonst verlierst du“ sagen, Hitze, die die Stadt flirren lässt und den Teer schmelzen, Kentern mit der Segeljolle und den Mast auf den Kopf bekommen. Ein sehr eindeutiges Sich-Äußern einer Welt, die mit mir nichts zu tun hat, die außer mir und ohne mich existiert, die sich meiner Verantwortung entzieht und eben durch ihr ausdrückliches Dasein eine so große Beruhigung in mir auslöst.
ist ja das Tröstliche, aber wenn ich verliere, weiß ich, dass ich gekämpft habe, dass also überhaupt Kraft da war in mir drin, dass ich existiere und einen Körper habe und klar umrissene Grenzen. Weil es immer um nichts anderes geht als Kontakt und die unvermeidliche Anziehung der Erde.
Nichts besänftigt mich so sehr wie die verlässliche Übermacht der Elemente. Ich bin Teil davon. Aber es geht nicht um mich. Finger weg von meiner Paranoia, singen Element of Crime. Eben nicht: alle Augen auf mich. Sondern der abgenutzte Wind, der eine verschmerzbare Spur der Verwüstung hinterlässt auf seinem transnationalen Weg. Der Schnee, der immer weiter fällt. Die Sonne, die den Sand aufheizt, auf den die Stadt gebaut ist und jede Bewegung draußen wird zu einem Kräftemessen, einem, bei dem ich immer verlieren werde, darum geht es gar nicht, das