Sprachgemisch

Zu einem Listenpunkt

 von Katharina Walser

Ein offenes Word-Dokument, in der blauen Zeile oberhalb des digitalen Seitenrandes steht in Großbuchstaben CV. Während der kleine, senkrechte Strich nervös über die Zeilen huscht, überlege ich hin und her, mache Anschläge, lösche Buchstaben im Lebenslauf. Der Lauf des Lebens ist es natürlich nicht, den man da schreiben soll. In dem Lauf des Lebens ginge es nämlich, wie mit meinem Cursor, vor und zurück. Man ginge mal auf Abwegen, spränge zu vergangenen Stellen oder weit nach vorne, man folgte Verzweigungen, käme zurück und spränge noch einmal. Der Lebenslauf gleicht dagegen eher einem Sprint, in dem keine Zeit und kein Raum für Ausblicke am Wegesrand bleibt. Der Lebenslauf kennt zudem nur einen Verlauf und der ist linear, sowohl biografisch als auch formal. Man schreibt sich von oben nach unten. Das klappt nach einiger Routine auch ganz passabel, wenn man gelernt hat, eine Art "CV Ich" zu formulieren – ganz ehrlich – glaubt eigentlich irgendjemand noch an diese Textform? Es stellt sich beim Schreiben irgendwann eine gleichgültige Taubheit ein – eine Mischung aus Gewohnheit daran, dieses lineare Ich zum Zwecke der Erwerbstätigkeit zu erstellen, und der unendlichen Frustration, immer wieder an dieser einen Zeile hängen zu bleiben, diese eine Frage, vor die mich der Lebenssprint stellt und für die ich keinen zufriedenstellenden Abschluss finde: Die Frage ist die nach den Sprachkenntnissen.

Ich schreibe:

- Deutsch

- Kroatisch

- Englisch

Im Englischen fühle ich mich allerdings wohler als im Kroatischen, auf Englisch habe ich studiert, in einem englischsprachigen Land habe ich gelebt. Auf Englisch finde ich mich witzig und auf Englisch kann ich einen formellen Brief verfassen. Also umdrehen.

- Englisch (C1)

- Deutsch (Muttersprache)

- Italienisch (A2) 

- Latein (Großes Latinum)

- Kroatisch (?)

Ich habe keine Ahnung, wo meine Kroatischkenntnisse im gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen stehen. Welche Buchstaben- und Zahlenkombination am besten darstellen würde, wie das Verhältnis zwischen mir und dieser Sprache aussieht.

Im Zögern wird mir bewusst, dass diese Liste nicht einmal den Grundvoraussetzungen einer Liste entspricht. Sollten hier nicht Dinge von annähernder Vergleichbarkeit aufgelistet sein? Normalerweise stehen die aufgereihten Listenpunkte schließlich in irgendeiner Form der Verwandtschaft oder Zugehörigkeit zueinander, und sei es nur, dass sie am Ende alle zusammen in einem Einkaufskorb zu landen haben. Der Duden versteht unter Liste: „eine Reihung von Inhalten unter einem bestimmten Gesichtspunkt in wiederkehrender Form”. Der Gesichtspunkt ist klar: Der Grad der Sprachbefähigung. Die wiederkehrende Form ist vielleicht auch gerade noch so gegeben, da die Inhalte alle in wiederholten Stichpunkten aneinandergereiht werden. Aber schon in der Klammer, die für gewöhnlich nach der Nennung der jeweiligen Sprache folgt, in der dann das Urteil über die Sprachkenntnis getroffen wird, ist überhaupt nichts mehr wiederkehrend und schon gar nichts vergleichbar. 

Es tut sich in diesen Klammern eine semantische Kluft zwischen mehreren Maßen auf, die an jene Sprachkenntnisse herangetragen werden, beispielsweise zwischen dem "großen Latinum", "A2" und den "Grundkenntnissen". Ersteres sagt natürlich überhaupt rein gar nichts über meine aktiven Sprachkenntnisse aus, außer, dass ich bei langem Nachdenken ableiten kann, was Wörter wie reziprok und andere Termini bedeuten können, selbst wenn ich sie zuvor noch nie gehört habe. Das zweite sagt ebenso wenig aus und schon gar nicht, dass ich wirklich kein Stück mehr Italienisch spreche als eine schlechte Aziz-Ansari-Imitation hergibt ​​ auch wenn mir das ein drei Jahre alter Zettel bescheinigt. Das Label der Grundkenntnisse hat dagegen noch die beinahe charmante Eigenschaft, die tatsächliche Sprachbefähigung ein wenig verschleiern zu können. Es kann einen beliebigen Punkt auf einer breiten Skala meinen, zwischen der Fähigkeit, ein Bier zu bestellen und den Kellner nach seiner Familie zu fragen.

Eva von Contzen schreibt im literaturwissenschaftlichen Sammelband Grenzfälle des Erzählens unter dem Titel „Die Liste als einfache Form” von WH. Audens Fragen an einen Literaturkritiker. Mit einem Augenzwinkern präsentiert Auden in seinem Essay „Making, Knowing and Judging” vier Fragen, die seiner Ansicht nach genügen, um festzustellen, ob jemand ein guter Kritiker sei. Man könne dem Urteil uneingeschränkt vertrauen, wenn der Kritiker…

1. Lange Listen von Eigennamen 

2. Rätsel und alle anderen Arten, die Dinge nicht beim Namen zu nennen

3. Komplizierte Versformen von großer technischer Schwierigkeit

und

4. Bewusste theatralische Übertreibung 

...nicht aus Prinzip gutheißen würde. Diese spezielle Liste ist natürlich ein Spiel mit der Form, nicht zuletzt durch ihren repräsentativen Charakter. So könnte sie durch beliebige andere Punkte, die auf denselben semantischen Gehalt hinauslaufen, ergänzt werden. Etwa: „5. Komplizierte akademische Fachbegriffe” oder „6. Seitenumfang”. WH. Auden macht mit dieser Liste in gewisser Weise einen Metakommentar, sowohl auf das poetische Potenzial einer Liste (sie steht schließlich für weit mehr als für das, was ausbuchstabiert wurde) und auf das Handwerk des Kritikers selbst, denn unabhängig von den verschiedenen Listenpunkten und deren Gültigkeit, ist der entscheidende Punkt das  „nicht aus Prinzip”. Denn für den Kritiker sei es wichtig, egal wie in Mode gewisse Formen des Schreibens sind oder wie sich gewisse Regeln in das Handwerk des Kritikers einschleichen, das Einzelne im Blick zu haben, den einzelnen Text – ihn nicht, oder zumindest nicht ausschließlich, für gut oder schlecht zu befinden, weil er eine Checkliste von Sprach- und Formkriterien erfüllt. Die Liste – so Contzen, könne so gerade wegen ihrer  Abstraktion und Schlichtheit eine komplexe Form darstellen, die viel Leseleistung und Abstraktionsvermögen erfordert. 

Hinaus will ich mit diesem Exkurs zu Auden nicht darauf, dass ich mich selbst als gute Kritikerin empfinde, sondern vielmehr darauf, dass ich nicht davon ausgehe, dass die Leser:innen dieser speziellen Liste des Lebenslaufs, von der ich schreibe – also die potenziellen Arbeitgebenden – dasselbe Maß an Abstraktionsvermögen an den Tag legen, wie WH. Auden es voraussetzt. Meine Liste, in der ich von meinen Sprachfähigkeiten berichte, wird wohl eher nicht als Metapher oder Allegorie gelesen – sie wird prinzipiell verstanden. Ohne Transferleistung. Also will ich – muss ich – so viel wie möglich unmissverständlich formulieren. 

Ich könnte dafür die Inkonsistenzen wie die Aneinanderreihung von "Grundkenntnissen" und "C1" in einem vermeintlich zur Vergleichbarkeit beitragenden Bewertungssystem noch als aushaltbare Unschärfen abtun, wäre da nicht noch die schwerwiegendste und bereits in sich ganz und gar uneindeutige Bezeichnung, nämlich die der Muttersprache. Denn diese verschleiert nicht nur die tatsächliche Sprachbefähigung, oder gibt in einem System aus Zahlen und Buchstaben vor, etwas von internationaler Gültigkeit über diese Sprachbefähigung sagen zu können, sondern steht schon in sich im größtmöglichen Widerspruch: Der Begriff der Muttersprache scheint die höchste aller Stufen von zu erlangenden Sprachkenntnissen zu bescheinigen und gibt doch über die tatsächliche Befähigung des Sprechens eigentlich nicht die geringste Auskunft. Im Gegensatz zu all den bisher betrachteten Kategorien bezeichnet er nämlich im Kern nicht die Kenntnisse einer Sprache, sondern die eigenen Verhältnisse zur Sprache. Und das ist keine Frage mehr von Bewertungspunkten, sondern von diversen und komplexen, emotionalen Biografien.

Mein Verhältnis zu dieser Muttersprache, die all das Nachdenken über die Form des Lebenslaufs auslöst, ist ein ewiges Spiel zwischen Annäherung und Distanz. Es ist eine Geschichte des Erlernens im Kindesalter, eine des Vergessens durch die Vordergründigkeit einer anderen Sprache. Dann wird sie eine Geschichte des Suchens im verzweifelten Versuch, sie schulisch von Grund auf – in ihrer korrekten Grammatik – wiederzuerlangen. Und es ist immer wieder eine Geschichte des Scheiterns, immer und immer wieder daran zu scheitern, sie so zu sprechen wie die Sprache, in der ich schreibe.

Mutter – sprache. Sobald ich länger über die Begrifflichkeit an sich nachdenke, sehe ich in einen Abgrund von problematischen Zuschreibungen, der sich in ihr auftut. Ich ahne die patriarchale Struktur, in der sich dieses Wort gebildet hat, die Mutter, die immer beim Kind blieb und die Sprache beibrachte, während der Vater Entscheidungen traf, Entscheidungen, das Kind und die Mutter betreffend. Gebildet wurde mit diesen Entscheidungen dann logischerweise das Vaterland. Heimatideologien klingen in beiden Begriffen an. Ich sehe die Mutter am heimischen Herde, die einem das gibt, was vermeintlich immer bleibt, das Unmittelbare, diese eine Sprache, ein Zugehörigkeitsgefühl, untrennbar von Heim und Land. Unumstößlich und unhinterfragt, die Sprache, die man nie bewusst erlernen musste, die mit einem bleibt wie das Leben, das auch die Mutter zuvor gegeben hat. Das Narrativ einer national gefärbten Singularität. 

Der Plural von Muttersprache begegnet einem im Deutschen eher selten. Bei der Onlinerecherche zur „Zweisprachigkeit” erfährt man, man dürfe im Lebenslauf auch eine zweite Muttersprache angeben. 

- Deutsch (Muttersprache)

- Kroatisch (zweite Muttersprache)

- Englisch (C1)

- Italienisch (Grundkenntnisse)

- Latein (Großes Latinum)

Wem der Begriff der Muttersprache zu antiquiert sei, der könne auch den von Linguist:innen bevorzugten Begriff der „Erst- und Zweitsprache” verwenden. Es widerstrebt mir genauso wie die „zweite Muttersprache”, ganz einfach deshalb, weil es eine Hierarchisierung vollzieht, die weder temporal noch im Sinne der persönlichen Bedeutung, die beide diese Sprachen für mich tragen, stimmt. Ich habe meine „zweite” Sprache gelernt, als ich auch meine „erste” lernte, an den Wochenenden, an denen meine Eltern gearbeitet haben und meine Großmutter mir kroatische Übertragungen von Rotkäppchen erzählte. Und auch wenn mir das Deutsche die Befähigung gibt, einen Text zu schreiben, so ist das Kroatische immer diese Sprache der behüteten und aufgehobenen Wochenenden, eingewickelt in Pitastrudel.

In diesem Zusatz zweite, der sich im Lebenslauf vor die Muttersprache stellt und wahlweise als polyglotte Protzerei oder als bescheidene Zurückhaltung gelesen werden kann, steckt mein Ringen um diese Sprache, mit den Kulturen, es steckt die Geschichte einer Bewegung in ihm, die Zugehörigkeiten und Singularitäten generell infrage stellt. Die Geschichte des ständigen In-Beziehung-Setzens der eigenen "Hintergründe". In ihm stecken die Bewegungen, die auf die Bewegung der Migration folgen.

Ich besuche meine Großmutter immer noch oft. Und wenn man über Besuch bei einer Kroatin schreibt, dann hat man die Wahl, in Klischees abzutauchen oder die Unwahrheit zu erzählen. Ich entscheide mich für das Klischee und erzähle vom Essen. Von diesem einen Essen, das sie vielleicht nicht am meisten zubereitet hat, aber das ich immer in Erinnerung habe, wenn ich an die Abende denke, die wir lange am Tisch sitzen blieben. Das Gericht sind die Pole, grob der Länge nach zerteilte Kartoffelspalten mit einer kleinen Mulde in der Mitte. Eine Mulde für Olivenöl und viel Knoblauch. Dieses bäuerliche Gericht würde, so unprätentiös wie es ist, zu Deutsch Hälften heißen. Um diese Hälften sammelt sich alles, was auf Dauerhaftigkeit angelegte Speisekammern hergeben, von gekochter Roter Bete, über Hartkäse, geräuchertem Schinken und Unmengen an Rotwein. Es kommt alles mit auf den Tisch, was noch da ist, Oliven, Sardellen, politische Aufregungen, eine Anekdote über diesen einen Cousin, den alle kennen, weil er in die USA ausgewandert ist. 

Über den Pole erzählt mir meine Großmutter oft von ihrer Tageslektüre, meist die aus ihrer präferierten kroatischen Wochenzeitung. Ich wappne mich für Relativierungen und Ergänzungen, gegen die nächste, besonders national gefärbte Geschichte aus der slobodna Dalmatia (das “freie Dalmatien” ist nämlich auch in seiner Recherche oft besonders frei), als sie mir eines Abends erzählt, dass sie heute wieder ein Wort gelesen habe, das sie nicht kannte. Das war nicht ungewöhnlich, es passierte ihr oft, und es ist für sie oft nicht weiter wild, schließlich war sie daran gewöhnt, dass das Hochkroatisch in der Zeitung ein ganz anderes Kroatisch ist als das, was man in dem kleinen Dorf an der bosnischen Grenze damals sprach. Doch diesmal fiel ihr kein Wort im Deutschen ein, das sie an die Stelle im Satz hätte setzen könne. An diesem Abend sagte sie: „Ich vergesse die eine Sprache und die andere, die habe ich nie richtig gelernt”. 

Ludwig Wittgenstein hat einmal geschrieben, die Grenzen der eigenen Sprache seien die Grenzen der Welt. Wenn er recht gehabt hätte, dann würde meine Großmutter, seit sie aus Ex-Jugoslawien nach Deutschland immigrierte, nicht in zwei Welten leben, sondern des öfteren, dann, wenn die Worte einmal wieder fehlen, in keiner Welt. Das würde sie sicherlich niemals so sagen, selbst wenn sie deshalb immer wieder an ernüchternde, sehr reale Grenzen stößt – sei es in der Arztpraxis oder am Behördenschalter. Aber wenn der unbarmherzige Druck der bürokratischen Welt, die wenig Raum für das Suchen von Wörtern lässt, abfällt, so wie an diesem Abend mit mir, behaglich bei einem Glas Wein, entstehen gerade in den Umschreibungen für Dinge, deren Bezeichnungen sie nicht parat hat, verdichtete und klare Bilder ihrer beiden Welten. Das schwer zu formulierende, in Worte zu fassende, wird präsenter, der Geschmack, die Düfte und die Bilder. Von Bildern erzählt sie viel.

Ich glaube, dass wir heute, gute 70 Jahre nach Wittgenstein, eine differenziertere Sicht von Sprache, von deren Zugänglichkeiten und Zugehörigkeiten zeichnen können. Und auch, dass wir anerkennen können, dass die Lücke, die sich im Sprechen und Übersetzen auftut, auch ein Raum ist, in dem Potenziale entstehen. Denn Sprache ist, wie jedes andere Zeichensystem, nicht statisch oder unveränderbar. Ihre Bedeutung ändert sich von Kontext zu Kontext, von Übersetzung zu Übersetzung, von Vorstellung zu Wort. In jedem neuen Versuch, die richtigen Worte zu finden, geht etwas verloren und kommt etwas neues hinzu. Wenn wir sprechen, arbeiten wir so eigentlich schon immer an einer Verhältnisbestimmung, einer Bestimmung zwischen dem Innen und Außen. So bildet sich im Dazwischen immer eine Sprache, die ohnehin nie ganz zu uns gehört, die immer schon im Dialog ist, mit der Sprache der Anderen. Ich erzähle das hier deshalb, weil ich in der Frage nach der Position des Kroatischen in der Liste automatisch immer auch die Frage stelle, wie sich das Kroatisch zu meinem Deutsch verhält. Und diese Verhältnisbestimmung ist es, die sich eben nicht in eine Liste fügen will sondern jedes Mal, wenn ich einen neuen Lebenslauf schreibe, ein anderes Bild ergibt.

Meiner Mutter scheint es ähnlich zu gehen. Sie entscheide sich meist für das, was ihr in der jeweiligen Situation passend erscheint. Zuletzt habe sie geschrieben:

- Deutsch (Muttersprache)

- Kroatisch (Muttersprache)

Ohne Aufzählungen, ohne Buchstabencodes.

Ich denke noch ein wenig länger an dieses Übersetzen, die Lücke, an den Raum, in dem sich Sprache neu erfindet. Dabei erinnere ich mich an eine Szene aus einer Phase meines Studiums, in der ich versucht hatte, die Beziehung zu der Sprache, die ich immer weniger gesprochen habe (da ich einen deutschen Vater hatte und eine deutsche Schule besuchte), wieder aktiv aufleben zu lassen. Ich hatte zu diesem Zweck einen Sprachkurs „Kroatisch für Fortgeschrittene” belegt, in der Hoffnung, nun doch endlich Herrin dieser für mich so wichtigen Sprache zu werden. Ich merkte damals schnell, dass ich kaum Vorteile gegenüber den anderen Studierenden hatte, die erst Anfang 20 begonnen hatten Kroatisch zu lernen. Sie waren um einiges versierter im Umgang mit der Grammatik, kannten spezielleres Vokabular, weil sie mit der Sprache täglich gearbeitet hatten. Ich hatte lediglich eine ausgeprägtere Intuition, Sätze und Wörter zu entlarven, die nicht so recht alltagstauglich waren. Wir saßen einmal wieder über einem dieser schrecklichen Sprachlehrbücher, die immer von einem verlangten, die heteronormativsten aller Dialoge mit dem Banknachbarn durchzuspielen und deren Verleger:innen seit 1998 nicht mehr an ein Design Update gedacht hatten. Die Aufgabe zeigte eine Urlaubsszene: zwei Damen bei ihrer Bestellung im Restaurant. "Špricer bijelog vina" stand da – gestelzt und umständlich. Ins Deutsche übertragen hieße das: Einen Gespritzten vom Weißwein. Würde man so natürlich nie sagen – "Weißweinschorle" heißt das Getränk im Süden Deutschlands. Und in Kroatien? In meinem Kroatien, im alltäglichen Leben an der dalmatinischen Küste, nennt man es gemišt, gesprochen und gemeint wie das deutsche Adjektiv "gemischt". Das fanden damals viele im Kurs komisch, und mich befiel kurz die Sorge, dass das vielleicht doch nur ein kleiner innerfamiliärer Witz war. Ich fühlte mich ein bisschen so wie damals, als mir als Kind klar wurde, dass das kroatische Wort für Treppe gar nicht trepenice ist, sondern stepenice.

Ich hänge seitdem an diesem Wort gemišt, das performativ vorführt, was eine Mischung der Sprachen ist. Klar könnte man, wie meine Dozentin damals sagen, das sei nun aber eigentlich kein richtiges Kroatisch. Man könnte auch, mit dem angeblich so wichtigen Herder, sagen: „Wehe unserer Sprache, wenn Fremdwörter ein Muster des Geschmacks würden.”

Man könnte aber auch sehen, dass dieses Wort den Reichtum – und nicht den Verlust – zwischen den Sprachen inszeniert, indem der Abstand zwischen den Sprachen in einer Verdichtung daherkommt: die Differenz als Gemisch, das sich mit jeder Bewegung neu verteilt, wo die Semantiken und Klänge zusammenrutschen, ganz eng zusammen und einander nicht mehr loslassen. Es beschreibt die Freude, sich im Halben zu treffen, wo die einzelnen Flüssigkeiten ein neues prickelndes Ganzes ergeben. Nicht übertragen werden soll das Wort in die andere Sprache, sodass das eine im anderen unterginge, sondern mit ihr übersetzt, wie das Schiff übersetzt und das Altbekannte an neuen Ufern wieder infrage stellen muss. Diese Beziehungshaftigkeit im stetigen Wandel (und nichts anderes kann eine Muttersprache sein als die Geschichte einer Beziehung) lässt sich nicht in einen Referenzrahmen eingrenzen. Und sie enthält wesentlich komplexere Bewegungen und Verschiebungen als die Linearität der Liste abzubilden weiß. Die Liste setzt unterschiedliche Punkte voraus, die sich, wenn niemand hinsieht, miteinander vernetzen, wie eine bewegliche Landkarte, die unsere persönlichen Grenzbewegungen und Überschreitungen nachzeichnet und der Pluralität von Sprache Rechnung trägt. 

Ich schreibe in den Lebenslauf, in einer Reihe:

Deutsch-Kroatisch-Englisch


// Katharinas Text ist Teil des Schreibprojekts I HINTER DEN KULISSEN //